Einführung
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Jede grosse Landesrundfahrt braucht selbstverständlich ihre Königsetappe. Warum sich also nicht an das grosse -
aber durch wohlbekannte Zwischenfälle etwas diskreditierte - Vorbild Tour de France halten und die gestrige Etappe mit den
vier grossen Pässen Col d'Iseran, Col du Télégraphe, Col du Galibier und Col de Lautaret mit ingesamt 3187
Höhenmetern als Königsetappe bezeichnen?
Die Antwort ist so einfach wie die Frage selbst: Die Tour de France führt nicht über den Col du Parpaillon. Etappen über
Schotterstrassen in den Alpen waren noch üblich zur Zeit der grossen Erfolge unserer Schweizer Fahrer Hugo Koblet
und Ferdi Kübler, das heisst vor mehr als einem halben Jahrhundert. Mittlerweile sind sie - mit Ausnahme jener des Col du Parpaillon -
allesamt wohl ausgebaut, asphaltiert und für die fragilen Rennmaschinen bestens zu bewältigen. Im Weltvergleich
schneidet die Piste über den Pass natürtlich nicht schlecht ab, es sei aber jedem Hobbyrennfahrer
überlassen nach zu prüfen, ob er ohne dicke Tränen in den Augen mit seinem teuren Wundergerät die dortige Abfahrt
wagen möchte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieser Col du Parpaillon unter allen befahrenen Pässen heraus stach und dieses
Teilstück eindeutig zur Königsetappe krönte.
Jetzt haben wir uns schon fast zu ausgiebig über den Col du Parpaillon ausgelassen, dabei stand dieser doch
erst für den Nachmittag auf dem Menuplan. Der schön gewählte, hoch über dem kleinen Stausee Barrage
de la Cerveyrette gelegene Übernachtungsplatz hatte schon vermuten lassen, dass der direkte Weg von Briançon
durch das Tal der Durance nach Embrun nicht zur Diskussion stand. Vielmehr sollte vorerst noch der Col d'Izoard bezwungen werden,
liess doch das Titelbild mit der Casse Déserte auf der alten IGN Karte TOP100 - Grenoble-Gap auf phantastisch
anmutende Erosionsgebilde hoffen. Diese skurrile Landschaft wollte ich nicht verpassen.
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Tagebuchausschnitte
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Col d'Izoard zum Aufwärmen
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Auf der Passhöhe des Col d'Izoard machten sich die Touristen, die hier auf den Parkplätzen übernachtet hatten,
gerade daran, ihre Camperfahrzeuge zu verlassen, um in der wärmenden Morgensonne ihre Frühstückstische zu
decken. Ich gönnte mir auch eine Rast und blickte ein wenig auf den nordseitigen Aufstieg zum Pass zurück. Mein Platz
für die Nacht war ja hoch über dem Talgrunde gelegen und ich konnte deshalb vorerst mal eher gemütlich dem
Hang entlang zur kleinen Ortschaft Cervières rollen. Obschon am Südhang gebaut, erreichten eben gerade die ersten
Sonnenstrahlen die höher gelegenen Häuserzeilen, während die Durchgangsstrasse noch im nächtlichen
Schatten lag. Nach einem kurzen Aufstieg folgte eine nette Ebene mit saftigen Alpweiden und dem Weiler La Laus. Anschliessend trat man
in den Bergwald ein, in welchem die Passstrasse vorerst in lang und später in kurz angelegten Schlingen in die Höhe
führte. Mit der Baumgrenze hatte ich das Refuge Napoléon unmittelbar vor mir und bald auch die Passhöhe
auf 2361 Metern über dem Meeresniveau erreicht.
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Die Mondlandschaft Casse Déserte am Izoard
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Der Scheitel schien mir auch vegetationsmässig und geologisch eine Grenze zu markieren, sahen doch die Berge auf der
Südseite viel karger aus. Nach wenigen hundert Metern in der Abfahrt wechselte das Landschaftbild abrupt zu bizzarren
Felsgebilden, die in Schuttmassen eingebettet waren. Ich war in der sogenannten Casse Déserte angelangt. Leider lag
dieses Stück an pitoresker Berglandschaft noch im Schatten der frühen Morgenstunde, was den Spass am Fotographieren
ein bisschen minderte. Ebenso unmittelbar wie die Casse Déserte aufgetaucht war, wich sie nach einer kleinen Gegensteigung
dem schönen Bergwald durch welchen die Strasse kurvenreich ins Tal mit Arvieux führte.
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Die Schlucht der Combe de Queyras
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Ein weiterer landschaftlicher Höhepunkt stand mit der Combe de Queyras an, dem Herz des gleichnamigen Naturparks.
Fünfzehn Kilometer durch eine enge und tiefe Schlucht mit einer kunstvoll in den Felshang eingelassenen Strasse, die
wenn sie nicht gerade durch einen der kleinen Tunnels führte, wie über der Schlucht aufgehängt zu sein
schien. Als die enge Klamm sich öffnete lag das breite Tal der Durance vor mir und auf einem Hügel angelegt
erblickte man das kleine Städtchen Guillestre und mit dem Mont-Dauphin eine gigantische Festungsanlage.
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Tal der Durance in der Region Embrunais
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Im Tal musste ich für einen kurzen Abschnitt die verkehrsreiche Strasse benutzten, konnte diese jedoch unmittelbar
vor der Brücke über die Durance verlassen und direkt auf St-André-d'Embrun zusteuern. Die
schmale Nebenstrasse war am Hang angelegt und erlaubte den Ausblick auf die Durance, auf deren türkisfarbenem
Wasser sich Kanuten tummelten. Später dominierte die Stadt Embrun und das dahinter liegende Blau des Stausees
Lac de Serre Ponçon den Blick nach Westen.
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Auf der Schotterpiste zum Col du Parpaillon
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Nach dem eindrücklich von gebänderten Bergflanken gesäumten Hochtal von La Chalp bei Crévoux,
welches im Winter als Langlaufzentrum genutzt wird, führte das schmale Teersträsschen nur noch ein kurzes Stück
den Lärchenwald hoch. Dann hiess es vorerst mal «Ende der ausgebauten Strecke» und die grobe, für
militärische Zwecke auf Höhengewinn hin angelegte Schotterpiste führte unaufhaltsam bergwärts.
Ab und zu wurde das Treten und gleichzeitige präzise Steuern mühsam und zwang mich für kurze Abschnitte zum
Schieben über zu gehen. Die Stille der einsamen Gegend wurde lediglich selten durch ein Fahrzeug gestört, bis dann im
Hochtal von Ecuelles ein deutscher Konvoi von schweren Geländefahrzeugen einbrach und auf der Anhöhe mit
dem Col de Girabeau Stellung bezog. Man möge mir verzeihen, dass ich in diesem Augenblick an eine Vorhut der Wehrmacht
dachte.
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Spezialerfahrung: der Scheiteltunnel des Col du Parpaillon
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Nach dem Überwinden der letzten Kurven über dem Hochtal von Ecuelles wurde auf ca 2650 m Höhe das
Nordportal des Scheiteltunnels durch den Verbindungsgrat zwischen dem Grand- und dem Petit-Parpaillon erreicht. Um Punkt
sechs Uhr abends fuhr ich in den stockdunklen Tunnel ein, das Licht der Fahrradlampe wurde vollständig verschluckt und
war von keinem Nutzen. Das andere Tunnelende war aber bald einmal aus zu machen, so dass man lediglich die Richtung halten
musste. Vom befahrenen Grund konnte man aber trotzdem nichts erkennen - sicher war lediglich, dass es sich auf weiten
Abschnitten um Wasserlachen handeln musste. Über den darunter liegenden Grund machte ich mir keine all zu grossen
Gedanken und konzentrierte mich aufs Geradeausfahren. Früher oder später in der Saison wird dieses wohl gefroren sein
und dann könnte die Durchquerung noch abenteuerlicher sein.
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Abfahrt ins Tal der Ubaye nach Jausiers
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Glücklich am südlichen Portal angelangt fand ich mich bei den Ruinen der ehemaligen Militärunkterkunft wieder
und genoss den tollen Ausblick auf die mich erwartenden Serpentinenkurven am Osthang des Petit-Parpaillon und den Blick in
die Ferne. Trotz Schotterpiste liess ich mirs nicht nehmen, dosiert eine etwas höhere Geschwindigkeit vor zu legen. Bei der
Chapelle Ste-Anne wurde das Asphaltband wieder erreicht, die darauf mögliche rasantere Fahrweise musste aber noch kurz
aufgeschoben werden, da ein defekter Schlauch gewechselt werden wollte. In La Condamine-Châtelard erreichte ich das
Tal der Ubaye an deren Ufern ich das Zelt aufschlug. Ein bisschen wehmütig war die Passage durch Jausiers, musste ich doch
die Abzweigung zum Cime de la Bonette links liegen lassen; wäre immerhin der höchte mit Autos befahrbare Pass der
Alpen gewesen! Aber hier gilt der Trost, das aufgeschoben nicht gleich aufgehoben ist.
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Die aufgehende Sonne erreicht den Ort Cervières
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Nordseite des Col d'Izoard beim Refuge Napoléon
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Karge Berglandschaft an der Passhöhe des Col d'Izoard
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Erosionslandschaft Casse
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Déserte am Col d'Izoard
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Strasse durch die Schlucht
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der Combe de Queyras
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Am Ausgang der Schlucht Combe de Queyras
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Blick nach Embrun und den Lac de Serre Ponçon
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Berglandschaft and der Südrampe des Col du Parpaillon
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Eingang zum Scheiteltunnel des Col du Parpaillon
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Landschaft an der Südrampe des Col du Parpaillon
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Das Städtchen La Condamine-Châtelard im Ubayetal
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