Seenplatte am Narèt

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Einführung
Das Tessin ist einer der gebirgigsten Kantone der Schweiz mit vielen extrem wild-fantastischen aber auch entvölkerten Landschaften durch welche man fast tagelang streifen kann, ohne andere Menschen zu Gesichte zu bekommen. Überall kann man jedoch noch auf die Spuren bäuerlicher Kultur stossen, seien es vom Wald eingenommene und überwucherte Mauerreste, die auf eine ehedem vorhandene Alpwirtschaft schliessen lassen, oder die Reste kunstvoll angelegter Wege, die den schwierigen Zugang zu den hoch gelegenen Gebirgsweiden erst ermöglichten. Dank gebührt all den Enthusiasten, welche durch ihre harte Arbeit diese Zeugnisse der Nachwelt erhalten und uns Wanderern damit den Besuch der schönen tessiner Gipfelwelt ermöglichen.
Daneben hat der Mensch unserer Neuzeit, insbesondere mit dem Drang zur Erschliessung der Potentiale an Hydroelektrizität, ganze Landschaften neu gestaltet oder gar erschaffen. Wir denken heute dabei zu allererst oft an Verschandelung - dass dem jedoch nicht immer so sein muss, zeigt die Kaskade von künstlich erschaffenen Seen im obersten Maggiatal. Mit den unterschiedlichen Farbnuancen - von blau über grün bis hin zu schwarz - scheinen diese wie Edelsteine in der ansonsten recht kargen Gebirgswelt zu liegen.

Tagebuchausschnitte
Prognose: Tessin schön
Es sind nicht nur die überaus reichlich vorhandenen Schönheiten des Tessins, die uns zu einer Reise durch den Gotthard verleiten. Oft spielt auch die Wettersituation die entscheidende Rolle bei der Auswahl des Tourenziels. Wir kennen es alle: Regen im Norden - Sonnenschein im Süden! Genau so standen die Prognosen, aber leider war die Grenze zwischen Nord und Süd für einmal nicht mit dem Gotthard gegeben, sondern ein wenig hin zum Äquator verschoben. Uns brachte dies zwar keinen Regen, aber die Sonne blieb oft hinter hohen Wolkenfeldern verborgen, während sich am südlichen Horizonte stetig ein blaues Band abzeichnete.
Passo dei Sassi, hoch über Airolo
Hätte man den Passo dei Sassi nicht schon einmal selber überschritten, man würde es nicht für möglich halten, dass es ihn überhaupt gibt. Auf dem Perron des Bahnhofes von Airolo stehend, richtet sich der Blick hoch zum Pizzo di Mezzodi und dem Pioncione di Vespero, die durch eine ununterbrochene Felswand miteinander verbunden scheinen. Und dort hindurch und darüber hinweg soll ein Weg führen, angelegt von Airoleser Älplern um ihnen den Zugang zu ihren Besitzungen im Val Sambuco zu ermöglichen? Giuseppe Brenna schreibt denn auch: «Ehre gebührt demjenigen, der diesen schmalen Pfad durch die N-Flanke des abweisenden Berges eröffnete».
Alpe di Pesciüm
Der Weg zum Passo dei Sassi und dem Poncione di Vespero verläuft über die Alpe die Pesciüm, dem Skigebiet von Airolo. Die Seilbahn nach Grasso di Pesciüm, welche uns geholfen hätte, die ersten ca. 600 Höhenmeter zu überwinden war «Chiuso per revisione». Also machten wir uns zu Fuss auf den Weg durch den Wald; wenige reife Himbeeren versüssten den steilen Aufstieg etwas. Auf der Alp angelangt folgten wir dem Trassee des Skiliftes durch die überaus reichlich vorhandenen Heidelbeeren, die wir im Vorbeigehen schmausten. Noch war vom Weglein auf den Passo dei Sassi nichts zu sehen, die schroffe Wand schien nach wie vor nicht einnehmbar. Dann jedoch tauchten unvermittelt gut sichtbare Wegmarkierungen auf und wir konnten dem genial auf Grasbändern angelegten Pfad durch die Felsen folgen. Airolo lag weit unter uns zu Füssen, im Rücken hatten wir das Strassengewirr, welches zum Gotthardpass führt und dann auf der Passhöhe eröffnete sich uns das wunderschöne Panorama, welches dem Val Sambuco einen schönen Rahmen verleit.
Poncione di Vespero
Vom Passo dei Sassi folgten wir dem schönen und einfachen Grat zum Gipfel des Poncione di Vespero über Gras und teilweise schönen Stücklein mit Felsblöcken. Vom Steinmann bewehrten Gipfel genossen wir die Aussicht aufs Gotthardgebiet und die nördlichen Berge, welche von Wolken umwogt waren. Beim Abstieg hielten wir uns vorerst ein wenig ostwärts auf der Aufstiegsroute, suchten dann aber eine möglichst direkte Variante durch die Felsen ins Val Marcia. Auf dem Schuttfeld unterhalb der Felsen des Poncione lag ein auffällig im Sonnenlichte glänzendes Objekt, welches sich beim Näherkommen als ein grosses und schönes Ensemble von Bergkristallen mit wohl ausgeprägten Kristallflächen erwies.
Traverse am Hang zum Passo del Narèt
Aus dem Kessel des Val Marcia stiegen wir weglos auf die Grasbänder der Löita dell Inferno und fanden uns alsbald von Gruppen von schön blühendem Edelweiss umzingelt, die sich zwischen Felsbändern und Grasnarben ihren Platz behaupteten. Südwärts blickend hatten wir das Blau des Lago del Narèt und das Schwarz des Lago Scuro vor Augen und bald trafen wir auch auf den kleinen See Lago del Fornà, welcher wie ein grünes Auge in der steinigen Landschaft lag. Über einen kleinen Rücken hinweg erreichten wir alsbald einen weiteren kleinen See, den Lago di Val Sabbia und nach einer kurzen Traverse standen wir auf dem Passo del Narèt.
Abstieg über die Alpe di Cristallina
Aus zeitlichen Gründen mussten wir das ursprüngliche Vorhaben, über die Bassa di Folcra und durch das Val Cassinello nach Bedretto abzusteigen fallen lassen. Wir wandten uns deshalb im Val Torta nach Norden und folgten dem Lauf des Ri di Cristallina, der sich in mehreren malerischen Fällen über die Steilstufen im Gelände der Alpe di Cristallina zu Tale ergiesst.
Vor dem Stall dieser Alp lagen ein paar freilaufende Schweine und genossen an der wärmenden Sonne die Siesta. Ein Wermutstropfen im Idylle-Eindruck des «porco fidelio» stellte die Beobachtung dar, dass diese Sauen durch Nasenringe am Wühlen im Boden gehindert werden.
Ossasco im Val Bedretto
Der unterste Teil des Abstieges führte uns durch den dichten Wald Bosco di Piet hinunter zum kleinen Dorf Ossasco. Zum Erreichen des Postautos nach Airolo fehlten uns gerade noch etwa hundert Meter als dieses bereits wieder wegfuhr. Der Schaden hielt sich jedoch in Grenzen, hatten wir doch sowieso mit dem späteren Kurs kalkuliert und konnten somit noch in der Dorfbeiz von Ossasco zu einem wohl verdienten Bier, respektive Eisbecher (!), einkehren.
Blick vom Passo dei Sassi auf den Lago del Narèt Blick vom Passo dei Sassi auf den Lago del Narèt
Lago del Sambuco und Pizzo Campo Tencia Lago del Sambuco und Pizzo Campo Tencia
Fund eines offen liegenden Ensembles von Bergkristallen Fund eines offen liegenden Ensembles von Bergkristallen
Bergkristalle mit schön ausgeprägten Flächen Bergkristalle mit schön ausgeprägten Flächen
Edelweiss in den Grashängen der Löita dell Inferno Edelweiss in den Grashängen der Löita dell Inferno
Das grüne Auge des kleinen Lago del Fornà Das grüne Auge des kleinen Lago del Fornà
Im Wiederaufstieg zw. Lago del Fornà und Lago di Val Sabbia Im Aufstieg zw. Lago del Fornà und Lago di Val Sabbia
Blick vom Passo del Narèt zum Lago del Narèt Blick vom Passo del Narèt zum Lago del Narèt
Silberglänzendes Bächlein im Val Torta bei der Cristallina Silberglänzendes Bächlein im Val Torta bei der Cristallina
   

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Seenregion am Narèt 2006        

Heinz Rüegger - 05.11.2006 HOME