Einführung
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Die Bewältigung dieser allerletzten Etappe der Direttissima Schweiz wurde viele Jahre herausgeschoben nicht zu letzt weil nach den
Schwierigkeiten der direkten Überquerung der Alpen die Herausforderung gering erschien und das Interesse am Unternehmen etwas
erloschen war. Aber als Tagesetappe ausgeführt
kann sie sicher nicht zu den leichten Etappen gezählt werden. Die zweitausend Höhenmeter zwischen der Magadinoebene und
dem Grenzstein 75B in Chiasso mit den beiden ruppigen Anstiegen nach Medeglia und zur Gola di Lago sind nicht zu verachten.
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Routenführung in der 10. Etappe:
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Bellinzona - Sementina - Progero - Gudo - Cadenazzo - Robasacco - Meggiaga - Calmagnone - Fontanello - Monti di Medeglia -
Medeglia - Gola di Lago - Leglio - Odogno - Tesserete - Lugano-Cassarate - Castagnola
Mit dem Kanu üder den Luganersee nach Grotto San Marco in
Caprino
Caprino - Arogno - Rovio - Melano - Capolago - Mendrisio - Castel San Pietro - Balerna - Seseglio - Pedrinate -Ca Nova -
Grenzstein 75B - Pedrinate - Chiasso
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Teilnehmer an der 10. Etappe:
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Sandra Loss Heinz Rüegger
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Tagebuchausschnitte
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Erste Zeichen von Frühling im Tessin
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Auf der Fahrt durch die Leventina nach Süden fielen sie ins Auge, die blühenden wilden Kirschbäume in den noch
laubfreien Bergwäldern an den steilen Flanken des Tals. Nördlich der Alpen hatte sich der Winter in diesem Jahr extrem
lange und unerbitterlich gehalten. In Göschenen verliessen dann auch viele Tourengänger unseren Interregio und wechselten auf die
Schöllenenbahn, um zu den höher gelegenen Ausgangsorten ihrer Skitouren zu gelangen. Noch war eine gute Zeit dafür,
lediglich die ansteigende Gefahr für Nassschneelawinen musste wegen der tageszeitlichen Erwärmung gehörig in die Planung
einfliessen.
Wir hingegen waren auf Frühling aus und hofften auf möglichst wenig Schneeresten auf den Bergen des Ceneri und Sottoceneri,
damit wir unsere Route möglichst hindernisfrei bewältigen könnten. Noch vor zwei Wochen hatte eine durchgehende
Schneedecke von den südexponierten Flanken des Monte Bar geglänzt.
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Die stark verbaute Magadinoebene
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Zwischen Bellinzona und dem Lago Maggiore wird der Ticino in einen künstlichen Kanal gebändigt und die flachen Gebiete an
seinen Ufern wird zunehmend von industriellen Bauten und industrialisierter Landwirtschaft mit zahlreichen Gewächshäusern
eingenommen. Einen guten Überblick erhielten wir beim Austieg auf der Landstrasse, die über den Monte Ceneri führt, und
dieser war nur halbwegs erfreulich. Die Kulisse welche die Ebene umrahmt ist grandios! im Westen sahen wir den obersten Zipfel des
Lago Maggiore, dahinter die noch schneebedeckten Gipfel der Tessiner Alpen. Unter uns hätten wir statt der intensiv bewirtschafteten
Zone gerne eine wilde Flusslandschaft mit riesigen Kies- und Sandbänken wahrgenommen. Solche Landschaften kennen wir
beispielsweise aus Griechenland, aber bereits auch aus dem von hier nicht sehr weit entfernten Tal des Toce südlich von Domodossola.
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Über die Cenerikette ins Val d'Isone
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Die südlich der Magadinoebene steil aufragende Bergkette mit dem Monte Ceneri teilt den Kanton effektiv in zwei Hälften, die
als Sopra- und Sottoceneri auch sprachlich klar erfasst werden. Der Passübergang zwischen den beiden Teilen weist eine bescheidene
Höhe von 554 Metern über Meeresniveau auf und wird von Strasse, Autobahn und Bahn benutzt, wobei letztere beiden sogar noch
kurze Scheiteltunnel benutzen. Uns war dieser offensichtliche Übergang nach Lugano allerdings verwehrt, liegt er mit einer Abweichung
von 3.3 Kilometern von unserer Direttissimalinie ausserhalb des uns erlaubten 1‰-Korridors.v Wir mussten unseren Weg weiter im
Osten suchen und dort sind die Berge gutaus doppelt so hoch. Nach der Unterquerung der Autobahn fuhren wir auf schmalem Strässchen
durch das recht nett anzuschauende Robasacco hindurch bis zum Ende des Asphalts bei Calmagnone. Weiter ging es auf einer groben
Militärstrasse, die sich in weiten Serpentinenkurven durch den Wald hoch zur Krete zog. Wir liessen alsbald die Kastanienwälder
hinter und kämpften uns weiter durch Birken und Buchenwald hoch bis uns die ersten Schneefelder stoppten. Nach kurzer Schiebepartie
erreichten wir aber bald die 1038 Meter hoch gelegene Passhöhe.
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Abfahrt zum Vedeggio bei Medeglia im Val d'Isone
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Die parkierten Autos auf der Passhöhe setzten ein deutliches Zeichen, dass auf der Südseite eine schmale aber dennoch gut ausgebaute
Strasse die Höhe erschloss. Wir konnten also in rasanter Fahrt den an einer Bergflanke anliegenden Ort Medeglia ansteuern. Auf den Monti
di Medeglia durchquerten wir dabei herrliche Birkenwälder und mussten bei einer kleinen «Steinbrücke» einen kurzen
Zwischenhalt einlegen. Diese erinnert an eine alte Erschliessung der Berge und nicht an einen Finanzminister ähnlichen Namens aus einer
der europäischen Steurerwüsten! Besser ausgebaut als erwartet erwies sich der Weg, welcher hinter der Kirche von Medeglia zum Fluss
Vedeggio hinunter- und am gegenüberliegenden Hang hochzog.
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Durch den lichten Wald hoch zu den Hochmooren auf Gola di Lago
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Das asphaltierte Strässchen, dem wir folgten, war in unserer zehnjährigen Karte noch gar nicht eingezeichnet erleichterte uns
aber die Überwindung der ersten paar Höhenmeter bevor es mit unbekanntem Ziel nach Osten hin entschwand. Jetzt hiess es weitergehen
auf dem Bergwanderweg hinauf nach Gola di Lago und dieser Weg liess sich sogar über weite Strecken hinweg fahren, an andern musste jedoch
geschoben werden und manche der Treppen liessen sich besser durch Tragen überwinden. Zum in den lichten Laubwäldern dieser Gegend
häufig spriessenden gelben Enzian gesellte sich auch Krokus, welcher in seiner weissen und violetten Gestalt auf und neben den Wegen
ausbreitete. Auf der Höhe angekommen zeigten sich die sumpfigen Ebenen mit den Hochmooren der Gola di Lago, welche wir allerdings auf der
guten Strasse umgingen. Unter den vielen Alternativen, um hinunter nach Lugano zu gelangen wählten wir die einfachste, die direkte Strasse
nach Tesserete.
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Mittagessen in Luera an der Strasse nach Tesserete
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Mit Möglichkeiten, ein gutes Mittagessen einzunehmen rechneten wir auf der Strecke hinunter nach Lugano zu hauf, wieso also nicht
die erste der sich bietenden Möglichkeiten nutzen, die sich boten?. Vis à vis der schmucken Bergkapelle von Luera entdeckten
wir ein kleines Ristorante mit einigen Tischen draussen an der Sonne, für uns wie gemacht! Ein gemischter Salat und dann eine
Polenta begleitet von einem Brasato, wobei sich hier zwei Alternativen auftaten. Der Braten vom Rind war indiskutabel, aber was war unter
der Alternative zu verstehen? Nie gehört! Also bestellten wir Beides, und das zweite erwies sich als ein herrlicher Wildschweinbraten.
Ein Genuss!
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Durchs Cassaratetal nach Lugano
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Mein altehrwürdiger Touristenfüher «Die Schweiz - Illustrieres Handbuch» von anno 1929 spricht:
«In das Cassaratetal, das der vom Val Colla herkommende Tesseretefluss durchströmt, führt vom SBB-Bahnhof Lugano
eine elektrische Bahn, 7.8 km, in 30 Min.». Wir finden keine Bahn mehr, aber zahlreiche Zeugen ihrer einstigen Existenz.
Beim Durchqueren Tesseretes fällt erst das Ristorante della Stazione, dann der in einer hübschen Parkanlage gelegene ehemalige
Bahnhof auf, später dann finden sich entlang der Strasse einige alte Viadukte und Brücken der alten Bahnlinie. Nicht geändert
hat sich in diesen 80 Jahren die schöne Lage Tesseretes im Kreis von Baro, Camoghè, Garzirola, Denti della Vecchia und Brè,
obschon sie heute teils unter andern Namen auf der Landeskarte erscheinen.
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Mit dem Kursschiff von Lugano-Paradiso zum Grotto San Marco
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In Castagnola führt die Direttissima durch die Schweiz über den Luganersee nach Caprino und wir hatten diesen Teil bereits
anlässlich unserer Kanutour auf dem Lago di Lugano
vorweggenommen. Wir wandten uns deshalb nach dem Erreichen der Gestade des Sees in Castagnola dem Westen zu und erreichten Paradiso
rechtzeitig zur Abfahrt mit dem Kursschiff nach Grotto San Marco. In der Tat blieb uns sogar genug Zeit um noch ein Gelato italiano zu
geniessen bevor wir in See stachen.
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Über die Berge östlich von Campione
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Eigentlich hätten wir es uns ja ein bisschen einfacher machen können. Die Punta San Nicola am Luganersee zwischen Bissone
und Maroggia läge noch knapp innerhalb der tolerierten Abweichung von der direkten Linie Bargen - Chiasso. Somit hätten wir
mit dem Kanu bloss kurz in Bissone anlegen müssen um von dort weiter zu gehen. Wir entschlossen uns aber für die attraktievere
Variante über die Berge östlich von Campione. Obschon uns der ruppige Anstieg von Caprino auf die Anhöhe bei Arogno
einige Schweisstropfen gekostet hat, konnten wir einen uns ziemlich unbekannten Teil unseres Südkantons entdecken. Der tolle Ausblick
auf den Luganersee und die umliegenden Berge entschädigten vollauf. Die engen Gässlein in Arogno waren ein optischer Genuss.
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Auf regennasser Strasse zum Südzipfel
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Donnergrollen in den Bergen hinter Arogno, ein paar Regentropfen, die uns streiften, dann war die Strasse nass vom
an uns vorbeigezogenen Gewitter, das uns glücklicherweise verschonte. Die Regenkleidung hatten wir auf Grund der guten Prognosen
zu Hause zurückgelassen. Die Strecke von Capolago nach Mendrisio ist durch die Einrichtungen des Verkehrs schwer verschandelt,
die Altstadtgässchen in Mendrisio dagegen eine Offenbarung. Wer aussen durchfährt, und dies wird wohl fast jeder sein,
denkt sich den Hauptort des Mendrisiottos als charakterlosen Industrieort, dabei würde sich ein Besuch der charmanten Altstadt
sehr lohnen.
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The Quest of the «Punto Estremo Sud della Svizzera»
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Von Balerna zum südlichsten Punkt der Schweiz ging es noch einmal kräftig den Berg hoch. Von den Gleisanlagen des
Güterbahnhofs auf 250 Metern fuhren wir nach Seseglio, anschliessend steil hoch nach Pedrinate und entlang der Grenze zum bekannten
Grenzstein 75B, welcher den südlichsten Punkt des Landes markiert. Dabei hatten wir die 500er Höhenlinie überqueren müssen.
Hinter dem Grenzstein befindet sich ein eindrücklicher Grenzzaun, wie wir ähnliches an einer «Grünen Grenze»,
beispielsweise im Schaffhausischen noch nie zu Gesicht bekommen hatten! Was wohl die Gründe zu dessen Errichtung gewesen sind? Waren es
die Italiener oder die Schweizer? Falls der Stein 75B wirklich die genaue Grenze markiert, müssten es eigentlich die Ersteren gewesen sein,
welche den Grenzübertritt hier vereiteln wollten.
Wir waren am südlichsten Punkt und somit am Ziel der Direttissima Schweiz angekommen!
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Grenzbahnhof Chiasso
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Chiasso wurde von mir immer als der Grenzbahnhof wahrgenommen. Von hier fuhren Schnellzüge nordwärts nach Zürich, Basel
und weit darüber hinaus. Heute im Zeitalter Europas mit seinen fallenden Grenzen scheint die Bedeutung kleiner geworden zu sein.
Es verkehren nur noch die S-Bahnen der grenzüberschreitend konzipierten Firma TILO (Ticino-Lombardia). Geblieben ist jedoch die
Kanalisierung der Passagiere, so dass wir in dem Riesenbahnhof die einzige Unterführung zu den Zügen nicht auf Anhieb finden konnten
und den gewünschten Zug vor unserer Nase abfahren sahen!
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